Viele von Euch werden den in der Sehnsucht nach vergangenen Zeiten begründeten Seufzer "früher war eben alles besser" sicher schon einmal gehört haben; im einen oder anderen Zusammenhang. Im Bereich von Modellautos jedenfalls stimmt er nicht, denn eine Betrachtung zwischen den Modellen aus den frühen 1980er-Jahren und den heutigen Autominiaturen belegt, dass die Qualität einen großen Sprung nach vorne gemacht hat.
Nein, über Blechspielzeug aus der Vorkriegszeit reden wir an dieser Stelle nicht: Wir wollen schauen, wie sich die Werbemodelle von Mercedes-Benz vor 35 Jahren von denen aus der Gegenwart unterscheiden. Dazu greifen wir tief ins Fotoarchiv und suchen eine S-Klasse der Baureihe W 126 heraus, führen die Betrachtung mit dem Schabak R 129 weiter und enden bei einem Modellauto von heute, dem S-Klasse Coupé. Aber was ist mit der Stimme des Herzens?
Die S-Klasse der Baureihe W 126
Die S-Klasse mit der internen Baureihennummer W 126 debütierte 1979. Damals konnte sich wohl kaum jemand aus den Kreisen der Damen und Herren aus Stuttgart vorstellen, dass dieses Modell sagenhafte 12 Jahre im Programm bleiben würde. Die Limousine brachte es auf 818.036 produzierte Einheiten; vom Coupé wurden 74.069 Stück verkauft. Nach Angaben des Kraftfahrtbundesamtes sind alleine in Deutschland heute noch rund 70.000 Exemplare zugelassen.
Modellautos werden seit 1923 als Mittel der Verkaufsförderung eingesetzt: André Citroën war der erste Autobauer, der Miniaturen seiner Marke einführte. Mercedes-Benz hatte also folgerichtig auch von seiner neuen Top-Baureihe Modellautos in Auftrag gegeben: Das Label NZG fertigte Miniaturen im Maßstab 1:35. Das Modell der S-Klasse maß in der Länge etwa 14 Zentimeter und zeichnete das Design der Limousine gut, aber grob nach.
Das Werbemodell der S-Klasse von NZG
Riesige Spaltmaße bei den zu öffnenden Vordertüren, der Motor- sowie der Kofferraumhaube fallen sofort auf, doch die Anmutung des Vorbildes hat NZG schon damals durchaus akzeptabel getroffen. Die Modellautos waren aus Zinkdruckguss, die Limousine hatte zu öffnende Vordertüren, zu öffnende Motorhauben und Kofferraumdeckel. Die spielzeughaften Nachbildungen von Motor und Innenmöblierung waren damals ebenso Stand der Technik, wie die grobstollige Gummibereifung.
So grob die Linien auch der Armaturentafel in das Modell umgesetzt wurden, so gut war dennoch das Vorbild wiederzuerkennen. Die Felgen waren nicht durchbrochen. Separat aufgesetzte Türgriffe und Markenzeichen ließen aufhorchen. Doch auch seinerzeit hatte NZG das S-Klasse Coupé – die Typen 380 SEC / 500 SEC – in 1:35 im Programm. Womit wir die Brücke schlagen zum heutigen S-Klasse Coupé, der Baureihe C 217.
S-Klasse Coupé Modelljahr 2015
Und dieses ist im Maßstab 1:43 gehalten, denn die Baugröße 1:35 hat sich nicht durchgesetzt. Schade eigentlich, denn dieses Format bietet mehr Spielraum zur Darstellung von Details vor allem innen, beansprucht in der Vitrine aber nicht so viel Raum wie ein Modell in 1:18. Das Modellauto des neuen S-Klasse Coupés von Kyosho in 1:43 kann alles besser, als der Urahn von NZG: Hauchfeine Gravuren der Türen und Hauben auf der Karosserie aus Zinkdruckguss, perfekt sitzende Verglasung, perfekt stimmig in der Linienführung und hochdetailliert mit deutlich sichtbaren Bremsscheiben und -sätteln. Keine Frage, dass auch der Innenraum nur so protzt mit seinen Lüfterdüsen, den Bedienelementen, den zweifarbigen Sitzen und der Instrumententafel; Details die so perfekt sind, dass man meint, sie würden wirklich funktionieren. Welten entfernt also von den 380 SEC / 500 SEC von NZG in 1:35.
Früher gab’s keine Außenspiegel
Ach ja, und Außenspiegel hat er auch, der Kyosho-Mercedes, denn zu Zeiten der NZG-Minis gab es die noch nicht. Erst mit dem W 124 und dem R 107 spritzte NZG den Autos die Spiegel an. Dass die Türen aktueller Modellautos im Maßstab 1:43 geschlossen bleiben, ist auf die Politik von Minichamps zurückzuführen: Das 1990 gegründete Label wollte Großserienmodelle in Kleinserienqualität bringen und vertrat die Ansicht, dass es keiner zu öffnenden Türen bedürfe.
Womit sich Minichamps letztlich auch bei der Herstellung von Modellen durchgesetzt hat, die im Auftrag der Autoindustrie als Werbemodelle entstanden. Andere folgten. Was der Firma Schabak die Existenzgrundlage entzog, denn die brachte mit ansprechenden Automodellen beispielsweise zum ersten Audi Cabriolet, dem Audi V8 oder den Mercedes-Benz W 140 und R 129 formal absolut perfekte Miniaturen mit "allem zum Aufmachen".
Schabak verpasste Trend, Minichamps unter Konkurrenzdruck
Inklusive den Nachbildungen von Motoren und einem – meist nicht dekorierten – Interieur. Doch die Firmenleitung von Schabak hat den Trend nicht erkannt, in China fertigen zu lassen und war durch den enormen Aufwand, den sie beim Formenbau aufbringen musste, nicht mehr konkurrenzfähig. So verlor sie die Autoindustrie als Kunden, die zu Minichamps wechselte, bevor später auch Schuco (ab dem Audi Q7 vehement), Norev und inzwischen auch Spark sowie Herpa sich Stücke vom Kuchen der Werbemodelle abschnitten.
Sogar den aktuellen Porsche 911 hat Minichamps an Herpa verloren. In den Foren im Internet ist aber eines festzustellen: Neben den Großmodellen von Ottomobile, GT-Spirit und Minichamps in 1:18 sind es die alten Spielzeugautos von Minichamps, Siku und anderen – oft unbekannten – Herstellern, die das Herz der Sammler höher schlagen lassen.
Die Liebe zum alten Automodell
Doch woran liegt das? Schließlich ist gegen die Perfektion, mit denen heutige Modellautos gebaut werden, nichts einzuwenden. Betrachtet man das Modell des Mercedes-Benz S-Klasse Coupés von Kyosho, dann bleibt eigentlich nichts anderes übrig, als sich dieses perfekte Auto in die Vitrine zu stellen, weil es so gut ist. Aber die Erinnerungen an die Kindheit, an den Käfer oder Kadett der Eltern, den supertollen Schlitten des Onkels oder Nachbarn verbunden mit dem Rückblick auf die Zeit, in der wir im Sandkasten gespielt haben und glücklich waren – an diese Zeit erinnern uns die nicht ganz so perfekten Modellautos aus den 1970er- und 1980er-Jahren.
Keine Außenspiegel, schlecht sitzende Türen – na und? Miniaturen wie diejenigen von NZG treffen dennoch mitten ins Herz. Dennoch ist schön, dass es heutzutage beides gibt: Die Modelle von damals neben der Perfektion von heute; Herz neben Verstand. Besser umgehen damit, als die Kids im Video es tun, sollte der Sammler aber mit allen Modellen: Blutet Euch das Herz da nicht auch, wenn 2 edle 1:18er zum Crashen misshandelt werden?